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Kathi

Interlude No. 2: Pause im Paradies

Aktualisiert: 31. Juli 2023

Ort: Kristiansund (bis Tverrelvnes)

Tage: 12.7.–16.7.

Kilometer: Null!

Status: heiter bis gewitterwolkig



Ein Paradies aus Hühnern, Büchern und Herzlichkeit


Das Haus von Ralph und Oda ist immer unverschlossen. Dort findet man unter anderem:

  • Eine Sammlung der wichtigsten Bücher für eine würdige Kindheit: Michael Ende, Astrid Lindgren, Ottfried Preußler, Cornelia Funke und Enid Blyton, sowie das geniale skurril-absurde Buch "Schlimmes Ende" von Philip Ardagh (bei Interesse am besten das von Harry Rowohlt eingesprochene Hörbuch hören!)

  • Einige Hühner, die ein echtes Hühnerleben im grünen Garten führen, samt Staubbädern und Regenwürmer-Wettziehen ... und die dafür gelegentlich ein Ei hergeben

  • Zwei Bienenvölker samt einem 3,8 kg großen Honigglas von letztem Jahr

  • Sehr viel selbst angebautes Gemüse, bei dem mir nach dem Vitamin-Entzug der letzten Fertigessen-Wochen das Wasser im Mund zusammenlief

  • Selbst gemachter Joghurt, Sauerteigbrot, Hafermilch, eine Espressokanne und sehr viele Tassen mit Mummin-Aufdruck

  • Die zwei Jungs Thiess und Ben, die gerade ihr Studium beginnen / begonnen haben und den Sommer über hier sind

  • Ralph und Oda, die ich nur vor drei Jahren für ein paar Tage gesehen habe und bei denen ich mich trotzdem sofort wie zu Hause fühle und die wohl zwei der glücklichstlebenszufriedensten Menschen sind

Beste Voraussetzungen also für ein paar ruhige Tage, um runterzukommen und mir das weitere Vorgehen zu überlegen. Ich bin sehr langsam in diesen Tagen. Ich trinke Espresso, finde eine Yogamatte (macht schon einen Unterschied zu huggeligem Gras oder moosigem Stein ...), lese Harry Potter, starre Löcher in die Luft, telefoniere und flicke ein paar Kleidungsstücke. Ich habe mehr Zeit als an den anderen Pausetagen, das koste ich aus.


Glückliche Hühner und glückliche Bienen


Auf zum Meer!


Mövenfüttern auf dem Balkon



Should I stay or should I go?


Über was ich mir Gedanken machen muss, ist, wie ich weitermache. Sehr schnell ist mir klar, dass Heimfahren jetzt keine Option ist. Ich würde mitten in den Sommer platzen, ohne einen Plan. Und ich würde mich die ganze Zeit fragen, wo ich gerade wäre, wenn ich weitergegangen wäre. Was ich gerade verpasse. Abgesehen davon leiten mich vor allem drei Gründe:


1. Ich würde mich sehr ärgern, wenn ich meinen Traum jetzt schon aufgebe, ohne zu wissen, was mich noch erwartet; ich will ihm noch eine Chance geben.


2. Ich habe mich lange auf dem Norden gefreut und bin gespannt auf ein paar Ecken, wie das Saltfjellet, die Padjelanta, den Kungsleden und den Dividal nasjonalpark.


3. Ich habe das Gefühl, dass es noch einiges gibt, was ich lernen kann, wenn ich jetzt weitermache. Meine Lektion ist noch nicht zu Ende.


Gleichzeitig sehe ich schwarz bei der Vorstellung, dort weiterzugehen, wo ich aufgehört habe. Denn das würde heißen, erst mal vier Tage weglose Wildnis durchs Børgefjell. So gerne ich diese Gegend sehen würde, meine Angst, dass ich mich dort in eine ähnliche Situation bringe und nicht raus kann, ist zu groß. Gibt es einen Kompromiss? Etwas, das die Hürde zum Weitergehen kleiner macht?


So eine Lösung finde ich tatsächlich. Bald steht der Plan, etwa acht Tage zu überspringen und stattdessen in Hattfjelldal weiterzugehen, wo mein zweites Paket auf mich wartet. Hier habe ich immer wieder die Möglichkeit, vom Trail auszusteigen. Die Pakete sind ein weiterer Ansporn, denn im letzten Paket wartet ein neues Paar Schuhe auf mich.


Zudem stelle ich mir einige Fragen: Ist das Nordkap noch das Ziel? Mit dem Erlebnis, das mich zur Pause gebracht hat, möchte ich so viel Druck wie möglich rausnehmen. Es wird immer noch schwierig genug sein. Also denke ich in kleinen Schritten. Gerne möchte ich zu meinem Schuhpaket. Das wären etwa zwei Wochen von Hattfjelldal aus. Aber wenn es mir richtig schlecht geht, möchte ich mir die Möglichkeit geben, einfach auszusteigen. Ich muss also von Tag zu Tag checken, wie die Lage ist. Mehr kann ich im Moment nicht planen.


Die Aussicht, wieder auf den Trail zu gehen, macht mich wieder angespannt. Ich habe Angst. Davor, dass sich die Erlebnisse der vergangenen Tage wiederholen. Dass es nicht besser wird. Dass ich nur leide. Aber ich muss es versuchen, sonst würde ich mich immer fragen, was passiert wäre ... Und das ist eine der Fragen, mit denen ich mein Leben sicher nicht füllen möchte.


Zurück in den Norden


Der Abschied von Kristiansund fällt mir wahnsinnig schwer. Wieder fließen Tränen. Es tut so weh, dass ich jetzt schon an meiner Entscheidung zweifle. Und wieder gibt es jemanden, der mich auffängt. Wenn ich nicht so viele Leute hätte, die mich unterstützen, wäre ich lange nicht mehr hier. Diesmal ist es Sonja, deren Schuhe ich immer noch an den Füßen trage. Sie ist den PCT gelaufen und hatte auch viele Hindernisse auf ihrer Tour. Sie bestärkt mich in meiner Entscheidung und macht mir Mut. Nach dem Telefonat fühle ich mich vielleicht nicht besser, aber zumindest ruhiger. Denn ich zweifle nicht mehr.





Pausen-Trailsound: The Big Push "It's Alright" (https://youtu.be/C5Z8CoKcrQc) und Ren "It's Alright" (https://youtu.be/8Al2HCcG6X0)

Die erste Version der beiden Songs mit demselben Titel ist von der besten Busking-Band, die ich kenne; die zweite Version ist von Ren, einem Mitglied der Band The Big Push und einem Genie, was musikalische Vielfalt, tiefgehende Texte und Ehrlichkeit angeht (Trigger-Warnung für einige Songs ...); beide "It's Alright" haben eine anderen Bedeutung; sie zeigen, zwischen welchen Stimmungs-Polen meine Entscheidung entstanden ist ...





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