Start: Tynset (22.6.)
Ziel: Røros (24.6.)
Distanz: 86 km (gesamt: 912 km)
Zeit: 3 Tage (gesamt: 40 Tage)
Status: morgens, mittags, abends, ich will laufen!
Über den Wäldern
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Mücken, alle Plagen, sagt man
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns surrend und juckend erscheint
Plötzlich vom Winde verweht...
Himmel und Hölle
Zusammenfassend kann man die letzten Tage in zwei Teile teilen: über dem Wald und im Wald. Oder anders gesagt: Himmel und Hölle.
Im Wald, also in der Hölle, laufe ich in Tynset los. Öfters versuche ich stehenzubleiben, um einen Ort für die Frühstückspause zu finden. Keine gute Idee. Die Mücken sorgen dafür, dass ich erst nach sechs Kilometern dazu komme, als ich ganz sicher über der Waldgrenze bin. Dafür gibt es feine Aussicht auf Tynset und die umliegenden Berge. Es folgen einige Kilometer auf einer Hochebene, was mir richtig gut gefällt. Der Wind bläst mir um den Kopf, Sonne und Wolken wechseln sich ab, die grün-gelb-grauen Schwämme färben die Landschaft in einem ganz eigenen Farbton. Diese Gewächse waren vor ein paar Tagen noch bröselig trocken. Seit dem Regen sind sie weich wie Moos. Die Gedanken werden leicht, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass ich nun nicht mehr über Pakete, Zeltalternativen und die Haltbarkeit von Trailschuh-Sohlen nachdenken muss. Dann kommt wieder Wald. Inzwischen weiß ich, wie es läuft, also mache ich noch davor eine Pause, esse etwas und nutze wieder reichlich Myggmelk.
Auf der Karte habe ich gesehen, dass es nach einem Abstieg steil bergauf geht. Das mag ich ja grundsätzlich sehr gern. Aber was da auf mich zukommt, konnte ich nicht ahnen. Der Weg geht einfach senkrecht einen Steilhang nach oben. In Norwegen kennt man offensichtlich keine Zick-Zack-Wege. Die Bewegung, die ich mache, wenn ich mich an meinen Stöcken hochziehe, nähert sich dem Klettern an. Der Weg wird immer schmaler, zwingt sich geradeaus durch junge Bäume, die alle tropfnass vom letzten Regen sind. Ich sammle Baumnadeln an allen möglichen Körperstellen ein. Mir tropfen Schweiß, Regenwasser und Myggmelk vom Kinn und den Ellenbogen, während mich munter Mücken umschwirren. Also ja nicht stehenbleiben! Der Weg will nicht aufhören. Das Einzige, was mich zwischendrin ermuntert, ist die frische Elchscheiße. Genauer gesagt: die Vorstellung, wie die großen Tiere hinter den Bäumen stehen und sich kaputtlachen über dieses tropfende, ungelenke Wesen, dass da den Berg hochschnauft.
Als ich endlich oben ankomme, bin ich erst mal fix und fertig. Ich schaue zurück und frage mich, wie man diesen Weg nach unten geht. Auf allen Vieren? Auf dem Po? Rollend? Zum Glück darf mir das jetzt egal sein. Mich empfängt ein Bach, an dem ich mir die Nadeln abwaschen und mein Gesicht erfrischen kann. Es ist nicht mehr lang bis zum Sattel und der Wind auf der Hochebene weht jede Anstrengung davon. Endlich raus aus diesem Wald! Endlich wieder Luft bekommen! Ich finde einen Premiumstein mit Aussicht und Lehne zum Sitzen und mache erst mal ausgiebig Pause.
Das Wald-Spiel wiederholt sich zu meinem Leidwesen an diesem Tag zum dritten Mal, aber wenigstens ohne diesen Höllenritt von Steigung. Es fühlt sich an wie Tauchen: Tief Luft holen und möglichst schnell durch, ohne stehenzubleiben. Schnorchel und Taucherbrille wären auch von Nutzen. Und vielleicht ein Astronautenanzug? Aus reinem Trotz mache ich nach dem heutigen dritten Waldstück nochmals eine lange Pause. Dann laufe ich die wenigen Kilometer zur Rausjødalen-Hütte.
Pause am Premiumstein
Aussicht vom Premiumstein
Wind und Wetter
Der nächste Tag beginnt mit Wind und leichtem Nieselregen. So ein Wetter mag ich. Nachdem ich nach etwas Gestrüpp wieder auf dem nackten Hügelrücken stehe, geht es mir noch besser. Der Wind wird stärker und pfeift mir um die Ohren. Irgendwann fängt es an zu regnen. Ich schiebe mir noch schnell einen Riegel in den Mund und streife doch tatsächlich meine Regenhose über. Für die Regenjacke ist es mir zu warm, allerdings spüre ich meine Finger kaum noch, sodass es schwer ist, die Rucksack-Klipser aufzubekommen. In der Pause werde ich meine Handschuhe rausholen. In so einem Wetter fühle ich mich beim Laufen sehr wohl, aber Pausen sind dann wirklich ungemütlich. Deshalb verlege ich die Mittagspause ins Tal: in die kleine DNT-Hütte Hodalen.
Als ich nach 18 km nur mit Frühstück und einem Riegel dort ankomme, bin ich doch leicht im Unterzucker. Aber hier unten regnet es nicht mehr. Ich überlege, was ich tun soll. Eigentlich wollte ich mein Zelt heute einem Praxistest im Wind unterziehen, doch bei der Windstärke kann ich kein Zelt aufbauen. Aber hier bleiben ...? Ich stelle fest, dass ich wieder Empfang habe und checke den Wetterbericht. Es soll nicht mehr regnen. Und tatsächlich, als ich rauskomme, ist der Gipfel hinter mir auch nicht mehr wolkenverhangen. Also Sachen packen und weiter. Auf schönen Wegen mit viel Sumpf laufe ich noch 10 km bis zu einem See, wo der Wind nicht ganz so stark ist. Dort baue ich mein Zelt auf (siehe unten). Abends kommt sogar noch die Sonne raus! Ich liege halb in, halb vor meinem Zelt, schreibe Tagebuch und freue mich mal einfach nur. Wie gut, dass ich nicht im Tal geblieben bin!
Etwas Weiteres ist mir in den letzten zwei Nächte aufgefallen: Ich beginne, das Alleinsein zu genießen. Ich habe keine Angst mehr davor. Ich finde es schön, abends in dieser Weite zu sitzen und allein zu sein. Vielleicht hat das mit den letzten Etappen zu tun. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich nicht mehr vergleiche, ob ein Abend mit oder ohne Menschen schöner ist. Es ist auch nicht vergleichbar.
Mein Haus
Ich nenne es jetzt Haus, weil das heimeliger klingt ... Der erste Abend neben der Hütte war kein nennenswerter Test. Hier oben baue ich mein neues Tarptent Scarp 1 samt der zwei Windstangen auf, die das Konstrukt verstärken. Damit steht es bei dem aktuellen Wind wie eine Eins. Da bewegt sich nix.
Ich finde es einfach, das Zelt aufzubauen und kann mir vorstellen, dass das nach zwei, drei Mal Üben auch im Regen schnell geht. Es ist geräumig innen. Ich habe fast das Gefühl, es ist größer als mein altes Zelt, vor allem in der Höhe. In jedem Fall ist es heller. Vielleicht gar nicht so ein Vorteil hier, wo die Nächte sowieso taghell sind.
Als Erinnerung: Das Nordisk Telemark 2 habe ich zurückgeschickt, weil mein Schlafsack jede Nacht ans Innenzelt gestoßen ist und in Kombination mit einer grauenhaften Kondensation jeden Morgen feucht war. Von Regen nicht zu reden ...
Das Beste und Wichtigste am neuen Zelt: Ich habe große Beinfreiheit. Über meinen Zehen ist samt Isomatte und Schlafsack viel Platz. Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen, dass mein Schlafsack das Innenzelt berührt und nass wird. Damit ist schon mal ein Problem gelöst! Yes!
Auch die Belüftung finde ich super. Die zwei Apsiden haben beide oben eine Belüftung, die man gut öffnen kann. Unten kann man das Zelt nach oben schieben, um mehr Luft reinzulassen. Und dadurch, dass rundum unten ein paar Zentimeter Platz sind, wird die Luft gut abtransportiert.
Trotzdem, die Nacht wird windstill und sehr kalt. Morgens hat sich demnach fast zwangsweise Kondensation gebildet. Allerdings nur am Außenzelt. Das Innenzelt hat das Außenzelt nirgendwo berührt und ist komplett trocken, so wie auch mein Schlafsack. So kann ich das Innenzelt einzeln abbauen und könnte es so auch im nächsten Regen wieder trocken aufbauen. Das klingt doch ganz gut ...! Ich glaube, in Zukunft werde ich nun noch viel lieber zelten.
Das Haus am See
... und von innen – mit viiiiel Beinfreiheit
Spaß am Laufen
Der letzte Tag der Etappe wird der schönste. Es hat mir ja vorher schon sehr gut gefallen seit Tynset, aber die letzten 28 km fliege ich nur so durch die Landschaft. Morgens weckt mich um Viertel vor sechs die Sonne. Ich kann erst mal das Vorzelt öffnen und noch im Schlafsack den Tag begrüßen. Super, der dünne Mesh des Innenzelts und die beidseitigen Apsiden!
Dann geht es los, in einen stillen Morgen, einen mückenfreien Wald, in dem sogar Holzbohlen über den sumpfigen Stellen ausgelegt wurden. Der Weg will mich heute wirklich verwöhnen! Der Wacholder duftet, ich frühstücke in der Sonne und laufe wieder bergauf, auf einem Trail, der Aussicht in alle Richtungen bietet. Hier gibt es so viele Premiumsteine, dass ich gar nicht weiß, wo ich Pause machen soll! Auch der Abstieg nach Røros schenkt mir schöne Wege und eine tolle Aussicht auf das Städtchen, das sehr süß zu sein scheint. Hier sehe ich wieder Menschen, die ersten seit Tynset!
Es fällt mir auch gar nicht so schwer, die 2,5 km aus Røros wieder rauszulaufen, auf den Campingplatz etwas außerhalb, weil der Campingplatz in der Stadt wegen eines Sportevents brechend voll ist.
In diesen drei Tagen konnte ich doch tatsächlich den Weg sehr genießen. Es hat sich leichter angefühlt als die Wochen davor. Vielleicht wegen der Umgebung, die bergiger, rauer ist. Vielleicht hab' ich aber auch etwas mentalen und emotionalen Ballast abgeworfen. Ich bin gespannt, wie es mir in den nächsten Tagen geht.
Premiumsteine und ein Premiumstein-Wegweiser
Juhu, Menschen!
Seit Elverum, also seit vierzehn Tagen, habe ich keinen Abend mehr mit Menschen verbracht. Geschweige denn ein Gespräch gehabt, das über einen kurzen Austausch auf dem Wanderweg im Stehen hinausgeht. Hier am Campingplatz werde ich endlich wieder verwöhnt. Ich treffe auf den Schweizer Markus, der mit dem Motorrad unterwegs ist, und auf Barbara und Marlis, die zusammen in Hamburg mit dem Rad gestartet sind und ebenfalls zum Nordkap wollen. Es ist schwer zu beschreiben, wie schön es ist, nach so langer Zeit wieder gemeinsam mit anderen zu Abend zu essen, Geschichten zu teilen und nach einem Espresso mit Keksen viel zu spät ins Bett zu gehen. Erst hier packe ich meine Schokolade aus dem Paket von zu Hause aus. Sie schmeckt hundertmal besser, wenn ich sie teilen kann. Danke euch dreien für die Herzlichkeit! Und ich glaube, ich kann die Gesellschaft besser genießen mit der immer größeren Sicherheit, dass es mir auch alleine gut geht. Ich kann besser loslassen. Eine wichtige Voraussetzung für Genuss.
Mit Barbara umd Marlis und allem, was man braucht (Gespräche, Schokolade) am Campingplatz
Dimensionen
Es ist schon seltsam, an Orte (wie Elverum, Tynset oder Røros) mit einer Bahnstation zu kommen. In ein paar Stunden könnte ich nach Oslo fahren. Die Strecken scheinen alle kurz . Wenn man zu Fuß geht, verschieben sich die Dimensionen. Was für manche eine Stunde Anfahrt mit dem Auto ist, habe ich mir in vier Tagen erarbeitet.
Die Vorstellung, in den Zug zu steigen, scheint mir manchmal verlockend. Das sind Träume beim Gehen, die ich regelmäßig habe. Einfach transportiert werden, ohne etwas tun zu müssen, außer aus dem Fenster zu schauen. Aber meine Richtung ist nicht Süden und meine Fortbewegungsart habe ich mir selbst gewählt. Dennoch: Eine der Sachen, auf die ich mich am meisten freue, ist die Rückfahrt von Norden nach Süden. Alles noch mal abfahren, was ich mir in mehreren Monaten erarbeitet habe. Jeden Schritt rückwärts auskosten, in einem trockenen, warmen Bus oder Zug sitzen und den eisigen Regen auslachen. Ich weiß, dafür werde ich erst noch einige Tage eisigen Regen einsammeln müssen. Aber allein für die Rückfahrt lohnt es sich.
Was zu feiern
So genau nehme ich das ja mit den Zahlen nicht. Auch die Kilometerangaben sind nicht exakt. Ich weiß nicht, wann genau ich die 800 voll gemacht habe und ob ich insgesamt vielleicht 5 km mehr oder weniger gegangen bin. Was ich aber weiß, ist, dass ich inzwischen mehrere Dinge zu feiern habe: Längst bin ich einen Monat auf Tour. Inzwischen habe ich die 800 km geknackt, weiter war ich noch nie unterwegs! Mit den 900 km hab' ich nun ein Drittel meiner Strecke geschafft. Und der Tausender winkt bald ... und wieder fängt es an: Immer noch so weit? Was, nur noch so kurz? Es ist immer beides.
Warnschild für einen kreuzenden Wanderweg - sehr freundlich!
Trailsound 7: Paul Simon "Born at the right time" (https://youtu.be/dxnYpg2wyiM) - mein Ohrwurm auf den letzten 25 km
Liebe Kathi, wir sitzen gemütlich an einem Holztisch und schauen von unserem Wild Camping runter zur Gaula….und haben soeben in deinem Blog gestöbert….coole Sache von einer coolen Socke.Dabei fragen wir uns wo ihr denn wohl gewandert….ää gestrandet seid. Schlaft gut und träumt süss! 😴Drücker auch an Linn! 😘 G+K von M und B