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Kapitel 3: Arktis und Sonnenbad

  • Kathi
  • 31. Mai 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 1. Juni 2023

Start: Dalen (28.5.)

Ziel: Rjukan (30.5. - 1.6.)

Distanz:  90 km (vom Start: 375 km)

Zeit: 3 Tage + ein Zero (vom Start: 16 Tage)

Status: Ich will ein Fahrrad!



KAT: Guten Tag, ich hätte gerne einen Wanderweg.

NPL: Was für einen hätten Sie denn gerne?

KAT: Na ja, so einen mit ein paar Wurzeln und Erde und Steinen obendrauf ...

NPL: Ohhh ... Das tut mir leid, die sind derzeit in Norwegen vergriffen. Wir hätten noch Sumpf im Angebot. Oder Straße. Oder ..., ja, Bach. Bach haben wir auch noch.

KAT: Hmm ..., nicht genau das, was ich suche, aber wenn ich das Kombi-Paket nehme, krieg ich dann Rabatt?

NPL: Also, etwas Sonne könnten wir gratis dazu liefern, zum Trocknen der Schuhe. Gibt's aber nur in Kombi mit unserem Super-Angebot. Das schließt ab 800 Höhenmeter fünfzig Zentimeter Schnee pro Schritt als Flat mit ein. Unschlagbar, kriegen Sie bei keinem anderen Anbieter!

KAT: Kann ich kündigen?

NPL: Nein. Nur bei Knochenbrüchen.

KAT: Ja, äh, also, ich versuch's nochmal woanders ...

NPL: ZU SPÄÄÄT, du hast den Vertrag schon beim Loslaufen unterschrieben! Und er läuft noch vier Monate!

KAT (seufzt ...)


Sumpf und Schnee


Von Dalen aus führt mich im Gegensatz zur Serpentinenstraße am Tag zuvor eine wunderschöne (trockene!) Steintreppe aus dem Tal hinaus. Ich lege sofort den Bergmodus ein, bei Anstiegen steigt mein Energielevel samt Endorphinspiegel. Dass im Laufe des Weges wieder ordentlich Sumpf dazukommt, ist wohl Gesetz in Norwegen. Ganz nach dem Motto: Nimm einen schönen Weg und mach ihn nass, denn nur die Harten kommen in' Garten. "Normale" Wanderwege aus Steinen oder Waldboden wären ja auch mal was. Aber irgendwie gibt es nur die Wahl zwischen Asphalt und nassen Füßen ...


... man muss miiiiitten hindurch!



Ansonsten weht die Tage ein schneidender Nordwind, der meine Pausen aufs Minimum reduziert, wenn ich keinen Windschatten finde. Beim Gehen finde ich Wind aber toll. Ich schwitze kaum und habe noch viel mehr das Gefühl von Draußensein. Zudem tauchen immer öfter tiefverschneite Hochebenen im Hintergrund auf. Ich laufe auf Straßen bis 900 Meter Höhe. Hier ist alles verschneit, die Knospen der Birkenwälder machen noch Winterschlaf, und so schaut die Landschaft aus wie auf einem Schwarz-Weiß-Bild aus subarktischen Gebieten. Mein Zelt baue ich einmal an einem gefrorenen See auf. Morgens finde ich meine Gurke im Vorzelt angefroren wieder ...



Wo ist denn hier der Anfang?


Straßen laufen ist (langfristig) frustrierend. Auf Asphalt habe ich das Gefühl, nur auf den Ort zuzulaufen, an dem endlich die "richtige" Tour anfängt. Auf kleinen Pfaden lande ich sofort in der Gegenwart. Denke nicht über die nächsten Etappen nach. Konzentriere mich auf den Weg. Sobald ich Straße laufe, geht das Gedankenkarussell los. Es ist ein echter Test für meine Motivation. Wie lange muss ich noch laufen, bis irgendwo kein Schnee mehr ist? Was mache ich bis dahin? Immer nur Straße laufen? Und warum überhaupt das alles? Wo fängt denn nun die "echte" Tour an? ... Ist das denn noch nicht die echte Tour? Ich warte immer noch darauf, mich mal für länger von der Zivilisation zu verabschieden.

Allerdings haben Straßen den Vorteil, dass ich mal wieder lange Podcasts über Themen höre, die mir sonst meist zu viel sind. Im Moment versuche ich, die politische Lage in Ecuador besser zu verstehen. Außerdem beschäftige ich mich thematisch mit den Samen/Sámi, die als indigenes Volk im skandinavischen Norden mit innereuropäischer Kolonisation zu kämpfen haben. Für so was hab' ich im Alltag keinen Kopf, darum ist es hier umso interessanter.

Für die vielen Straßenkilometer wäre ein Rad ja ideal. Dabei hab' ich nach meiner Norwegen-Radtour 2020 ja extra die Füße gewählt, weil ich mich dort so abhängig von Straßen gefühlt habe. Jetzt ist es wieder genau dasselbe. Nur, dass ich ein Viertel so schnell bin. Ich fühle mich an die Straße gefesselt, abhängig von Infrastruktur. Genau das, was ich eigentlich nicht wollte. Deshalb auch der Trailsound der Etappe.


Die beste Straße für Podcasts und laute Musik



Die letzten Meilen


Der letzte Tag bis Rjukan bringt wieder strahlenden Sonnenschein und Windstille. Ich freue mich schon auf den mittleren Teil, wo ich wieder ins Fjell abbiegen darf. Dachte ich ... Doch nach 500 Metern stehe ich oberschenkeltief im Schnee. Dann halt wieder Straße. Der nächste Versuch gelingt dann wieder, mit (wie könnte es anders sein) nassen Füßen nach 20 Metern. So richtig Spaß macht mir das heute nicht. Wenigstens das (sehr kurze) Bad im schmelzwasserkalten See kann ich genießen.

Vor Rjukan muss ich dann zwei Umwege gehen. Der eine beinhaltet einen ungewollten Schlenker durch steiles Unterholz, der vor einem Steilhang endet und nur durch Umdrehen zu lösen ist. Der andere fügt noch mal 7 Kilometer Straße statt des schattigen, aber leider schwer verriegelten Forstwegs zu meiner Tour hinzu.

Einigermaßen erschöpft erreiche ich den Ort Rjukan, wo ich einen zweiten Pausetag einlegen werde, um mir eine Alternative für die ursprüngliche Tourenplanung zu überlegen.


Schon schön hier!


Industriecharme im schmalen Tal von Rjukan, mit dem Gaustatoppen rechts oben im Hintergrund



Der weniger schöne Teil der Aussicht


Schon seit Beginn Tour ist mir aufgefallen, wie expansiv hier gebaut, gerodet und asphaltiert wird. Inzwischen bin ich durch etliche, vorher vermutlich sehr ursprüngliche Wälder gelaufen, die mit großen Maschinen plattgemacht wurden. Das sieht ganz anders aus, als wenn im Forstenrieder Park ein Waldstück mit Fichten in Reih und Glied gerodet wird. Hier sind die kahlen Stellen eine offene, blutende Wunde mitten in dieser wunderschönen Natur. Auf vielen Flächen im schönsten Birkenwald werden Steine aufgeschüttet, um das Fundament für neue Grundstücke zu bauen. Sümpfe werden ausgetrocknet und zu Feldern umfunktioniert. Ich sehe in die gebaggerten  Entwässerungsrinnen aus tiefschwarzer Erde, aus denen das Wasser rinnt. Das tut in der Seele weh. Der Reichtum des Landes und der große Holzverbrauch (vor allem zum Heizen) führen zu einer Zerstörung der Natur im großen Stil. Am Anfang kann man ja immer noch so tun, als wäre das Land riesig und der Wald unendlich. Ist er aber nicht. Norwegen macht es anscheinend Deutschland nach und möchte möglichst bald keine Urwälder mehr haben. Was mir Hoffnung gibt: Auf den kahlen Flächen sprießen nur so die Birken mit ihren zartgrünen Blättern. Sie werden uns Menschen weit überleben, die Bäume. Schöner wäre es, wenn wir noch lange mit ihnen leben könnten.



Ganz dünnes Eis


Das bezieht sich diesmal ausnahmsweise nicht auf die Natur, sondern auf mich selbst. Wie auf vielen Touren zuvor merke ich, wie ich emotional sehr dünnhäutig werde. Wie ich bei einem Gedanken an Zuhause in Tränen ausbreche und beim Anblick einer schönen Blume am Wegrand vor Freude in die Luft springen könnte (wenn da der Rucksack nicht wäre). Ich erlebe alles viel intensiver. Das ist anstrengend, kleinste Dinge können mich emotional voll durcheinander bringen. Gleichzeitig ist es wunderschön, weil ich viel näher dran bin am Erlebten. Den Panzer, den ich in einer lauten, aufdringlichen, schnellen Stadt brauche, musste ich aus Gewichtsgründen zu Hause lassen. Nun geht alles direkt in meine Seele, ohne Schutzschicht. Manchmal fühlt es sich an, als würde sie brennen. Aber ich glaube, es sind Wachstumsschmerzen. Sie wächst, weil sie Dinge erfahren kann, die mir nur hier passieren können – allein, ohne Schutz vor Wetter, Gedanken und Gefühlen. Die Gefühle kommen einfach und überwältigen mich. Sie sind schneller als ich, ich kann nicht vor ihnen weglaufen. Ich kann sie nur eine Weile mit mir mittragen. Und das ist eine erstaunlich heilsame Methode.




Trailsound 3: Foals "Inhaler" ( https://youtu.be/qJ_PMvjmC6M ) - weil... I can't get enough... SPAAACE!!!


2 Comments


Mia Holzfass
Mia Holzfass
Jun 13, 2023

Ich glaube wir wollten beide den gleichen verperrten Forstweg nach Rjukan gehen. Bin sogar um den Zaun herumgelaufen, dahinter war dann aber ein Hangrutsch...

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lutz.bonk
Jun 01, 2023

Hallo Kattl, Du weißt, wie wir Dich in Gedanken begleiten. Und dann wird bei noch mehr schöneren Erlebnissen im Laufe der Zeit auch das Eis wieder dicker! Kopf hoch und Bussi, Deine Tante und Onkel aus M. 😘

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Katharina Mayer - 2023

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