Start: Evje (22.5.)
Ziel: Dalen (27.5.)
Distanz: 158 km (gesamt: 285 km)
Zeit: 6 Tage
Status: nach dem Frühling kommt der Winter
Dass alles anders kommt, ist ja sowieso klar. Aber jetzt schon? Noch am Abend in Evje treffe ich auf Daniel, der auch den NPL läuft. Nach einem netten Austausch steht fest: Ich bleibe noch einen Tag. Denn in Norwegen liegt dieses Jahr so viel Schnee, dass schon die nächste Etappe umgeplant werden muss. Nach viel Hin und Her steht ein neuer Plan: möglichst früh ins Hüttennetz einsteigen, um langsam von tieferen Lagen aufzusteigen und die Schneelage zu checken. Plan B ist, im Osten wieder abzusteigen, um den Schnee zu umgehen.
Der Pausentag hat noch einen weiteren Vorteil: Zum Nachmittag sind wir zu fünft am Campingplatz! Simone und Stefan haben ebenfalls das Nordkap als Ziel, so wie Silvio, der allerdings schon im November in Tarifa (Südspanien!!) gestartet ist und bereits einige Tausend Kilometer hinter sich hat.
Wir tauschen uns über Planung, Routenwahl und den besten Weg durch den Schnee aus. Es wird ein schöner Tag, an dem ich viel Neues erfahre und ab jetzt bei den Blogs der anderen mitlesen kann (siehe unten).
Auf zu Etappe zwei!
Da wusste ich noch nicht, was auf mich zukommt ...
Beim Losgehen am nächsten Tag fühle ich mich richtig angekommen auf dem Trail. In Evje bin ich Teil einer kleinen, aber feinen Trailcommunity geworden, die dasselbe Ziel vor Augen hat: ein spannendes, abwechslungsreiches Erlebnis mit viel Natur und neuen Erfahrungen. Und vielleicht sogar das Nordkap.
Die nächsten zwei Tage bringen den ersten Gipfel (Himmelsyna), den ersten Regen (ich mag mein Zelt nicht), die ersten Kilometer auf dem bestens gekennzeichneten DNT-Wegenetz und ... die erste Hütte (Skarsvassbu)!
Mit Daniel auf der Himmelsyna (Bild von Daniel)
Hytteliv i Norge
Auf der Skarvassbu wartet eine schöne Überraschung auf mich. Ich zähle hier noch als Jugendmitglied und zahle auf allen Hütten den halben Preis! Das heißt umgerechnet: doppelt so oft ein echtes Bett 😉. Dies erfahre ich über die App "hyttebetaling". Dort kann ich ganz einfach eingeben, wann ich wo war, und bei nächster Gelegenheit bezahlen. Immer wieder staune ich über das sehr digitale und offensichtlich gut funktionierende Vertrauenssystem in Norwegen!
Seit Evje bin ich immer wieder Daniel begegnet, der den gleichen Weg wie ich geplant hat. Auch die Nacht im Regen und die Schwierigkeiten mit dem Zelt (er hat das gleiche!) teilen wir. In der Hütte machen wir es uns gemütlich und trocknen unsere Zelte. Am nächsten Tag möchte ich weiter gehen als er, also verabschieden wir uns erst mal. Aber es sollte alles anders kommen ...
Die Grunnetjørnsbu
Flott og vått med mye snø (schön und nass mit viel Schnee)
Am Tag darauf starte ich wieder bei bestem Wetter in die Sumpflandschaften, die ich inzwischen ganz gut kenne. Allerdings werden auf den nächsten Kilometern nasse Füße zu einer Nebensache: Nach kaum einer Stunde Gehzeit stehe ich auf knapp 600 Meter Höhe vor dem ersten, fetten Schneefeld. Die dicken Eisschollen auf dem See daneben sprechen Bände. Heute werde ich nicht schnell vorankommen, so viel steht fest. Kurzerhand plane ich (schon wieder) um und entscheide mich, die Grunnetjørnsbu zu meinem deutlich näheren Tagesziel zu erklären, anstatt zu versuchen, bis zur übernächsten Hütte zu laufen. Eine weise Entscheidung, denn letztendlich brauche ich sieben Gehstunden, bis ich ankomme.
So kann ich mir viel Zeit nehmen, um die einzigartigen Aussichten dieser wilden Szenerie zu genießen. Sümpfe sind etwas Besonderes, und wenn sie halb verschneit sind, mit Seen, in denen die Eisschollen treiben, werden sie noch fabelhafter und wilder. Hier entscheidet die Natur, wer sich gut bewegen kann und wer nicht. Am besten, man ist hier ein Vogel oder ein Elch oder irgendein Kleinstlebewesen unter 1 mm Größe, das es gerne nass hat. Diese Unzugänglichkeit fasziniert mich. Ich bin unglaublich dankbar, dass mir die Natur Einlass gewährt in dieses abgelegene Stückchen Wildnis und dass ich für eine Weile Teil dieser Zauberwelt sein darf. Diese Teilhabe ist allerdings hart erkämpft. Ich suche nach (zum Glück reichlich vorhandenen) Wegmarkierungen, breche in Schneefeldern ein, wate durch überschwemmte Sumpfwiesen, rutsche auf Matsch aus und durchquere unzählige Schmelzwasserbäche. Das Wasser daraus schmeckt köstlich. Es hat aber leider auch die Wanderwege für sich entdeckt, die sich in rutschige Flüsse verwandeln. Am Schluss bin ich so nass, dass eine Abfahrt auf dem Schneefeld ohne langes Nachdenken auf dem Po absolviert wird und ich einfach mitten durch den Fluss wate, ohne nach Steinen zur Überquerung zu suchen. Immer wieder sehe ich Elchspuren, nur das Tier selbst hält sich versteckt. Der Tag ist wie ein Rausch, die Anstrengung merke ich fast gar nicht, ebenso wenig die triefenden Schuhe, so fasziniert bin ich von der Umgebung. Nur in der Pause döse ich unter einer Birke fast weg.
Ein typischer Bach ... äääh, Weg
Pause am zugefrorenen See
Ja, das musste sein!
An der Hütte angekommen zuerst ein Sprung in den See. Danach lasse ich mich auf dem warmen Stein von Wind und Sonne trocknen. Dort wird die Welt ganz still. Nur noch der Wind rauscht durch die Bäume. Das Wasser plätschert leise gegen die Steine. Welch ein Frieden liegt in dieser Stille.
80 Kilometer Straße
Der zähe Teil kommt erst danach. Auch wenn das Schneestapfen Spaß macht, sind Schneebrücken und Schmelzwasserbäche doch nicht das sicherste Terrain. Und die nächste Hütte liegt nochmal ein paar Hundert Höhenmeter weiter oben. Der leidige Plan B muss her: noch ein paar Kilometer durch schönsten Sumpf, dann stehe ich wieder auf der Straße. Und noch 65 Kilometer Asphalt bis Dalen! Die ersten Meter fühlen sich schön an, endlich die Füße nicht bei jedem Schritt aus dem Matsch ziehen. Doch danach geht es vor allem darum, die Motivation aufrechtzuerhalten. Zum Glück gibt es auch auf dieser Strecke ein paar Highlights. Neben schöner Aussicht, Pausen in der Sonne (ich habe schon eine Sonnencreme nachkaufen müssen, aber meine Regenjacke noch nicht mal ausgepackt ...) und Schafen mit ihren Jungen lenkt mich hin und wieder ein Podcast ab. Oder ein Gespräch mit Daniel, dem ich immer wieder begegne. Die Gurke aus dem Supermarkt, den ich erst kurz vorher auf der Karte entdecke, schmeckt auch köstlich.
Aussicht von der Straße auf den Fyresvatn
Nach den Hütten wieder im Zelt - ganz okay ;)
Den schönsten Moment schenkt uns eine Frau auf dem Campingplatz, die uns ihre übriggebliebene Gemüsesuppe anbietet. Sie weiß gar nicht, was für eine Freude sie Daniel und mir damit macht! Dankbar löffeln wir die warme Köstlichkeit aus unseren Töpfen. Am nächsten Tag dann ein weiterer Höhepunkt: Ich sehe tatsächlich einen Elch! Er steht am Rand der Straße und schaut mich einen winzigen magischen Moment an. Dann verschwindet das riesige Tier im Wald, als es mich kommen hört.
Trotzdem ist das Straßengelatsche so gar nicht das, was ich mir unter dieser Tour vorgestellt habe. Und obwohl ich mich auf die jetzige Etappe, den heutigen Tag, den nächsten Schritt zu konzentrieren versuche, kommen immer wieder Fragen zu den nächsten Etappen auf. Hardangervidda, Jotunheimen und Rondan
e liegen alle mindestens auf 1300 Meter Höhe. Das kann ich im nächsten Monat vergessen, da liegen noch meterweise Schnee. Und wenn ich einen Teil überspringe, verschiebe ich das Schneeproblem nur weiter in den Norden. So wälze ich ungewollt Gedanken über die Routenwahl, größere Entscheidungen und Alternativen. Eine Lösung möchte ich in Rjukan oder Geilo finden. Bis dahin werde ich leider noch einiges an Straßenkilometern sammeln.
Sie haben Ihr (Zwischen-)Ziel erreicht
Die Serpentinen der Bundesstraße nach Dalen sind definitiv kein Höhepunkt. Aber der nette Mann am Campingplatz rettet mir die nächsten Tage, als er erwähnt, dass der Supermarkt wegen Pfingsten heute schon um vier Uhr schließt. Ich sprinte los und stehe eine Minute vor vier im Laden. Glück gehabt! Sonst hätte es die nächsten drei Tage Müsli, Tütensuppe und Magenknurren gegeben.
Ein ganz kurzer "gear review" zum Zelt (so far)
Mein (nordisk Telemark 2) Zelt wurde ja in diversen Berichten groß gelobt. Ich bin leider so gar nicht zufrieden damit.
Kondenswasser ist ein riesiges Problem. Wenn ich die Apsis nachts zulasse, ist das Zelt morgens richtig nass von innen. Ventilation? Fehlanzeige! Die Regennacht hat meine Meinung nicht gerade verbessert: Der Stoff des Außenzelts, der sich ja immer bei Nässe etwas dehnt, klebt am Innenzelt. Nach der Regennacht ist das Zelt rundum feucht, an meinem Fußende hängen die Tropfen an der Innenwand.
Das große Problem ist dabei, dass ich mit der Isomatte und dem Schlafsack am Fußende an das Innenzelt stoße, sodass mein Daunenschlafsack jeden Morgen am Fußende feucht ist. Entweder durch Kondenswasser oder durch Regenwasser. Eine grundlegende Fehlkonstruktion! Ein nasser Schlafsack ist so das Schlimmste, was ein Zelt einer Wanderin antun kann. Mehr als eine Regennacht am Stück möchte ich darin jedenfalls nicht verbringen. Eine Lösung hab' ich allerdings auch noch nicht ...
Was ist Effizienz?
Und nun wieder zu einem schönen Thema: Zeit. Die ist ja bekanntermaßen im Alltag knapp bemessen. Doch hier dehnt sie sich zu einer langen Hülle, die gefühlt viel mehr Momente halten kann. Im Alltag spielt Effizienz eine große Rolle. Ich versuche, die Dinge so schnell wie möglich zu erledigen. Hier ist dies völlig irrelevant. Ich kann mich nach dem Aufwachen (ein Dank an die zahlreichen fleißigen, früh aufstehenden Fitisse) einfach noch mal umdrehen. Ich kann morgens eine gute Stunde trödeln, bis mein Rucksack gepackt ist. Besonders, weil ich wieder in einen früheren Tagesrhythmus falle und zwischen sechs und sieben aufwache. Effizienz? Spielt keine Rolle. Ich muss keine bestimmte Zahl an Kilometern am Tag schaffen (bin sowieso schneller als der Plan). Ich kann Pause machen und mir dabei eine Stunde lang die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Hat sich das ganz am Anfang noch seltsam angefühlt, beginne ich jetzt, es zu genießen. Effizienz bedeutet hier, nicht mehr zu tun als nötig. Nicht mehr über die nächsten Tage nachzudenken als nötig. Meine Füße so lange auszuruhen, wie sie sich danach fühlen. Gerade freue ich mich besonders daran, mich auf den Rücken auf einen Stein zu legen und den Wolken zuzuschauen. Mit welcher Gleichgültigkeit sie über die (auch meine!) menschlichen Dramen hinwegziehen. Vielleicht kriege ich ja etwas von ihrer Gelassenheit ab, wenn sie sich doch mal über mir abregnen.
Trailsound 2: -M-, Toumani Diabaté, Sidiki Diabaté und Fatoumata Diawara "Manitoumani" ( https://m.youtube.com/watch?v=S7q5CXiwsME&pp=ygULTWFuaXRvdW1hbmk%3D ) - der beste Rhythmus für lange Straßen
Hier findet ihr die Links zu diversen NPL-Läufer*innen dieses Jahr. Simone und Stefan sowie Daniel bin ich am Campingplatz begegnet: https://simonpatur.de/norge-pa-langs-die-klasse-von-2023/
Mit Stefan (links; Bild von ihm), Silvio und Simone
... und die Karte habe ich auch upgedated!
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